Captura

von Anna-Lena Reinink

Anstelle eines Vorwortes

„Lima ist verrückt und wundervoll – und manchmal wie der wilde Westen. Über 8 Mio. Menschen drängen sich in Perus Hauptstadt, mehr als in beinahe jeder anderen Großstadt Südamerikas. Die zweitgrößte Wüstenstadt der Welt hat viele Barackensiedlungen, die
eher in ein Entwicklungsland passen, Einkaufszentren und Geschäftsviertel an der Küste erinnern hingegen an das ferne Europa.Nur wenige Reisende bleiben lange in dieser Metropole. Dabei hat Lima viel zu bieten. Dieser sich ständig wandelnde Ballungsraum ist voll faszinierender Kontraste und Nuancen. In kürzester Zeit kann man zwischen Ruinen der Präinka-Zeit, dem
verblassenden Glanz der Kolonialarchitektur und hypermodernen Shoppingmalls hin- und herpendeln. Mittendrin stehen viele der besten Museen des Landes, historische Kirchen und stattliche Villen. (…)Lima berührt einen auf ganz unterschiedliche Weise. Man braucht vielleicht einige Zeit, um eine der lebendigsten Städte Südamerikas kennenzulernen. Aber wer sich auf sie einlässt, wird belohnt.“ (Lonely Planet Peru, S. 91).

Ich hatte in diesem Jahr die Möglichkeit, in dieser außergewöhnlichen Stadt zu leben und die vielleicht wichtigsten Erfahrungen in meinem bisherigen Leben zu machen. (…)

(…)Erdbebenalarm in der Casa Belén – die Theorie
Lima und die Region um Lima sind bekanntermaßen Erdbebengebiete. Also ist es hier auch völlig normal, dass die Schulen und Kindergärten einige Male im Jahr einen so genannten „Erdbebenalarm“ simulieren. Das funktioniert so ähnlich, wie bei uns in den Schulen der Feueralarm: Zunächst ertönt eine laute Sirene über das ganze Casa Belén-Gelände. Alle Kinder und ihre Professoras versammeln sich daraufhin in der Mitte des Hofes, in der „zona segura“ (= sichere Zone). Diese Sicherheitszone gibt es in allen öffentlichen Gebäuden hier und ist der Bereich, der am weitesten von den Gebäudewänden entfernt ist. Unser Erdbebenalarm Anfang April war vor allem deswegen nicht ganz so einfach, weil unsere jüngsten Kinder dies noch nicht kannten und fast alle  angefangen haben zu weinen und weg zu rennen.

(…) und die Praxis: Mein erstes „echtes“ Erdbeben
Mitte April habe ich dann ein Erdbeben „live“ erlebt. Zum Glück ereignete sich dies nicht tagsüber in der Casa Belén, sondern nachts. Grundsätzlich angenehmer war es deswegen aber auch nicht. Ich fand, dass es ein ziemlich heftiger „temblor“ war. Am Morgen klärte mich meine Gastmutter allerdings darüber auf, dass das nur ein „ganz kleines Erdbeben“ war und noch nichts gegen die Erdbeben, die es hier sonst schon gab. Sei es drum: Ich hoffe einfach ‚mal, das es das einzige und letzte Erbeben während meines Aufenthaltes bleibt … .

(…) Muttertag – der „día de la madre“
Wie in Deutschland war auch hier am Sonntag, den 9. Mai Muttertag. Schon drei Wochen vorher fingen wir an, mit den Kindern Geschenke zu basteln, Gedichte zu lernen und Lieder zu singen. Außerdem hatten einige Gruppen noch einen Tanz eingeübt.
Am Samstag vor Muttertag war der große Tag für die Kinder gekommen: Alle  Mütter waren in die Casa Belén eingeladen, jede Gruppe führte ihre Tänze auf und die Mütter bekamen die selbst gebastelten Geschenke. Anschließend wurde mit allen zusammen „papa a la huancaina“ (ein Kartoffelgericht) gegessen. Das Fest war ein voller Erfolg! (…)
Und was ist mit „Vatertag“? Den gibt es hier tatsächlich auch. Er findet allerdings nicht – wie in Deutschland – an Christi Himmelfahrt statt, sondern erst am dritten Sonntag im Juni. Dieser Tag steht uns also noch bevor und wir überlegen schon, was es dann für die Väter geben soll.

(…) Apropos „Schwimmkurs“: Wie ging es damit eigentlich weiter?
Nach den ganzen anfänglichen Problemen bei der Organisation, Planung und Durchführung des Schwimmkurses hat das ganze Projekt letztendlich doch noch super funktioniert und war ein voller Erfolg. Eher  unbeabsichtigt hat das Projekt zusätzlich noch weitere positive Effekte gehabt, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Mit den Kindern waren wir etwa zehn Mal im Schwimmbad. Bei vielen Kindern waren Angst und Scheu vor dem Wasser schnell verflogen, so dass wir sogar Tauchübungen machen konnten. Andere Kinder hatten aber trotz guten Zuredens auch bei „einfachen“ Übungen noch bis zur letzten Stunde viel Angst und haben sich nur gemeinsam mit  mir oder Bianca selbständig vom Beckenwand entfernt und sich frei im Wasser bewegt. Richtig schwimmen gelernt hat kein Kind. Das war aber aber auch gar nicht unser Ziel. Wir wollten – vor allem in Anbetracht der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung stand – unseren Kindern einfach ein paar schöne Stunden in einer für sie eher ungewohnten Umgebung schenken, ihre Koordinationsfähigkeit schulen und die Freude am Bewegen und Spielen im Wasser wecken.
Auf Grund unseres erfolgreichen Projekts mit den Fünfjährigen sind wir auch noch einen Nachmittag mit den Schulkindern im Schwimmbad gewesen.
Und (…) es hat noch eine weitere Fortführung des Projekts gegeben: Es konnten zusätzlich noch Besuche mit den Profesoras im Schwimmbad durchgeführt werden. Biancas und mein Wunsch war es nämlich, neben den Kindern auch die Profesoras „ins Wasser zu bekommen“. Unseren Wunsch konnten wir tatsächlich in die Tat umsetzen: Weitere zwei Mal waren wir (im Sinne einer pädagogischen Fortbildung) im Schwimmbad. Beim ersten Mal waren alle anfangs noch recht ängstlich und vorsichtig. Diese Zurückhaltung legte sich aber am Ende der Stunde vollends, als es zum Wasserball spielen ging, bei dem sich „nichts mehr geschenkt wurde“ ). Logisch, dass unser zweiter Termin dann auch schon sehnsüchtig erwartet wurde. Auch dies Erlebnisse stufen Bianca und ich in die Kategorie „Voller Erfolg“ ein! Bei den Profesoras stand nicht so sehr der Lernerfolg im Vordergrund, sondern vor allem das Miteinander und die Kommunikation zwischen den Profesoras, denn während der täglichen „Alltagsarbeit“ kommen diese Faktoren meines Erachtens oft zu kurz.
Leider können wir aktuell weder mit den Kindern, noch mit den Profesoras weiter schwimmen gehen, weil es hier nun Winter wird und und alle Bäder geschlossen sind oder nur noch für Mitglieder geöffnet bleiben.
Mein persönliches Fazit zum „Schwimmprojekt“: Ich bin sehr froh darüber und auch ein bisschen stolz darauf, dass ich es geschafft habe, dieses Projekt in der Casa Belén gestartet und zum Erfolg geführt zu haben. Sehr schön ist es auch deshalb, weil Bianca sich bereit erklärt hat, die nächsten zwei Jahre, die sie noch hier in Peru leben wird, das Schwimmprojekt weiter durchzuführen. Hoffentlich kann sie das mit Hilfe der neuen Freiwilligen „durchziehen“. Das wäre dann wohl auch ein echter Beitrag in puncto „Nachhaltigkeit“!

(Bild:Anna-Lena mit einem Schwimmkind)

(…) Gesundheitsvorsorge – die Arbeit mit der Ärztin
Die Kinder der Casa Belén werden regelmäßig von einer Ärztin untersucht, die zwei Mal in der Woche im Haus ist. Alle drei Monate werden die Kinder gewogen und gemessen. Regelmäßig wird Blut abgenommen und die unterschiedlichen Blutwerte bestimmt, um den Kindern ggf. frühzeitig erforderliche Medikamente zu verabreichen. Einige Medikamente bekommt die Casa Belén gratis von einem Krankenhaus.
Das Krankenversicherungssystem hier ist mit dem in Deutschland nicht zu vergleichen. Viele Menschen sind gar nicht krankenversichert. (…)

(…) Die Zusammenarbeit mit den Eltern
Schon in meinen beiden vorherigen Berichten wollte ich über die Zusammenarbeit mit den Eltern schreiben. Nachdem ich Ende Mai zum ersten Mal an einer „reunión de padres“ (Elternversammlung mit der Profesora) dabei war, komme ich jetzt endlich dazu.
Grundsätzlich gilt in der Casa Belén, dass die Eltern mitarbeiten müssen, denn nicht die Profesoras sind allein dafür verantwortlich, dass die Kinder lernen und sich weiterentwickeln. Diese Vorgabe, die für uns in fast allen gesellschaftlichen Schichten eher selbstverständlich erscheint, ist hier manchen Eltern nur schwer zu vermitteln. Bei  manchen Familien habe ich das Gefühl, dass sie ihre Kinder bei uns einfach nur abgeben und dass sie sie dann „gut erzogen“ wieder zurück haben wollen. Sollte das so erkannt werden, werden die Profesoras und die Sozialarbeiterin schnell aktiv und steuern gegen.
Die Mitarbeit der Eltern besteht bei uns zum einen in der Mitarbeit direkt für die Gruppe, zum Beispiel durch Basteln von Plakaten für Demonstrationen oder Präsentationen. Dabei wird auch auf Kleinigkeiten wert gelegt, z. B. auf das pünktliche Mitbringen geforderter Utensilien.
Zum andern wird die aktive Teilnahme an den Angeboten der Casa Belén für die Eltern eingefordert. Dazu gehören z. B. Versammlungen mit der Profesora, Workshops und auch Vorträge zu verschiedenen Themen, etwa zur gesunden Ernährung, die von einer Ärztin gehalten werden.
Von Stefan, der jetzt bei den Schulkindern nachmittags mitarbeitet, weiß ich, dass sich vor allem bei solchen Familien, die schon so lange aktiv in der Casa Belén mitarbeiten, die Lebensumstände, der Lebensstandard und das familiäre Zusammenleben verbessert haben.
Mein Fazit: Ich habe das Gefühl, dass an den erkennbaren Verbesserungen in den Familien selbst, die Casa Belén einen maßgeblichen Anteil hat. Es freut mich sehr, wenn dass man diese „Fortschritte im System Familie“ – vor allem im Interesse der Kinder „sehen“ kann.

(…) Die Woche der Kindergärten: “Semana de la educación inicial”
Diese “Woche der Kindergärten” haben wir auch bei uns in der Casa Belén gefeiert. Eine Woche lang gab es jeden Tag ein abwechslungsreiches  Programm: Das ging von Vorlesestunden über einen „Filmemorgen“ bis zum Basteln aus Recycling-Materialien. „Highlights“ für die Kinder waren der „Nudel-Tag“ und die Demonstration zur guten Behandlung der Kinder:
Der Nudel-Tag fand draußen im Hof der Casa Belén statt. Alle Gruppen räumten dafür ihre Tische und Stühle  nach draußen und für alle 100 Kinder gab es Nudeln mit Soßen in vier verschiedenen Farben. Ein echter Hit für die Kinder – und auch für mich eine nette Abwechslung, weil es doch hier sonst jeden Tag Reis gibt! (…)